Weitere Berichte über Besichtigungziele in Katalonien in der Website: Lobos Spaziergänge in Katalonien und an der Costa Brava (www.lobo-w-j.eu)
Im Osten blüht, mystisches
Exempel
Wie eine gigantische Blume ein
Tempel auf
Und wundert sich, dass er hier
erstanden
Inmitten von Menschen, so
missmutig und böse,
Die ihn verlachen, (Gott)
lästern, sich zerstreiten, in den Wind blasen
Alles Menschliche und Göttliche.
Dennoch – inmitten des Elends,
der Wut und des Qualms
Erhebt sich und gedeiht der
Tempel (so kostbar!)
Erwartend die kommenden
Gläubigen.
So feiert der katalanische Dichter
Joan Maragall im Jahre 1909 in seiner „Neuen Ode an Barcelona“
die entstehende Kirche. Vier Jahre vorher hatte der Freund und
Verehrer Gaudís geschrieben: …hier
passieren wunderbare Dinge, im Umkreis jener wundervollen Steine ist
eine neue Welt im Entstehen, die Welt des Friedens.
( A la „Sagrada Familia“).
Die Sagrada Famiía 1905 und 1915 |
Es war eine unruhige Zeit für
Spanien als Maragall diese Zeilen schrieb. Durch Industrialisierung
und Handel mit den Kolonien war eine bürgerliche Schicht wohlhabend
geworden. Ihr stand ein breites verarmtes Proletariat gegenüber, in
dem sozialistische und anarchistische Ideen Eingang fanden. 1909 kam
es in Barcelona anlässlich der Rekrutenaushebung zur Niederschlagung
einer Erhebung in Marokko zum Arbeiteraufstand, der blutig
unterdrückt wurde, die „Setmana Tràgica“, die „Tragische
Woche“. Der Bau der Sagrada Família war zu dieser Zeit noch nicht
sehr weit fortgeschritten, dem Blick präsentierte sich eine Bauruine
auf freiem Feld, ohne Türme, mit Wänden, die gerade hoch gezogen
wurden. Fertig war nur die Krypta, in der auch schon Gottesdienste
abgehalten wurden.
Ein Besuch der Sagrada Família als „Kulturspaziergang“
Heute ragt die Sagrada Família als
gigantisches zum Himmel strebendes Bauwerk im dicht bebauten
Stadtteil Eixample unübersehbar auf. Ca. 70 % sind fertig gestellt,
wenn auch noch riesige Kräne und Baugerüste das Bild der „ewigen
Baustelle Gottes“ bestimmen. Steigt man aus der Metro-Station am
Carrer Marina aus, so mischt man sich in Hunderte von Besuchern aus
aller Welt, die staunend das Wunderwerk betrachten. Um und in der
Kirche herrscht zu den Besuchszeiten ständiges Gedränge und
„babylonische Sprachengewirr“. Der Wunsch der Gründer, Gaudís
und Maragalls eine Oase des Friedens und der spirituellen Erneuerung
zu schaffen, scheint (vorerst?) nicht in Erfüllung gegangen zu sein.
Zwar gibt es im Inneren der Kirche Ruhezonen für deren Einhaltung
Ordner sorgen müssen, und hin und wieder finden im großen
Kirchenraum auch Gottesdienste statt, seitdem Papst Benedikt XVI. 2010 den
Altar geweiht hat. Aber um daran teilnehmen zu können, muss man sich
bewerben und eine Einladung erhalten.
Trotzdem: man kann sich der
Faszination, die das Bauwerk ausübt, kaum entziehen. So hatten auch wir "Kulturspaziergänger" aus Roses und Empuriabrava am 12.
05. 2016 einen Besuch geplant. Die meisten von uns hatten die Sagrada
Família schon in früheren Jahren erlebt, aber nun, nachdem der
Innenraum überdacht und weitgehend vollendet ist, wollten wir die
Fortschritte in Augenschein nehmen. Gegen Mittag stiegen wir aus der
Metro aus. Zu dieser Zeit sind die meisten Busse mit Touristen schon
wieder abgefahren und der Strom der Besucher hat sich vermindert. Wir
nehmen Abstand von der belebten Straße und begeben uns in die
dahinter liegende Parkanlage. Von dort aus hat man einen Gesamtblick
auf die „Geburtsfassade“ mit ihren vier Aposteltürmen.
Die Anfänge – eine „Kirche der Armen“
Der 26-jährige Gaudí |
Ohne Zweifel hat der aus einer
Handwerkerfamilie stammende und im Laufe seines Lebens immer frommer
werdende Katholik Gaudí dieses religiöse und soziale Modell
mitgetragen und in der Architektur der Sagrada Família umgesetzt,
allerdings in sehr freier Weise. Es ist schon eine Ironie: eine
Kirche, die gegen den Zeitgeist des „Modernismus“ geplant war,
wurde im „modernistischen“ Stil errichtet! In umfassenderer Weise
hat Gaudí übrigens seine soziale Gesinnung in der Errichtung der
Arbeitersiedlung Colònia Güell in Santa Coloma de Cervelló
umgesetzt, wo er in der Krypta Vorerfahrungen zur Sagrada Família
sammelte.
Rückblickend mag man allerdings
fragen, ob die Hoffnung, die Arbeiterschaft in eine konservative
Kirche zu integrieren, die doch meist auf Seiten der Besitzenden und
Mächtigen stand, nicht schon zu Lebzeiten Gaudís illusorisch war.
Dies wurde spätestens im spanischen Bürgerkrieg deutlich, als
revolutionäre Anarchisten in die Sagrada Família eindrangen, einen
Geistlichen ermordeten, sie in Brand setzten und die Skizzen und
Modelle Gaudís vernichteten.
Der Bau wird wird weitergeführt – mühsame Rekonstruktionen
Blick in die Werkstatt im Museum |
Man hat die Weiterführung des Baus
mit der Einwendung kritisiert, es sei nicht mehr der authentische
Gaudí, der in neuen Techniken und Gestaltungen zum Ausdruck komme.
Dem steht die Äußerung Gaudís entgegen, dass das Werk zu seiner
Zeit zwar Ausdruck des gegenwärtigen
Kataloniens sein werde,
aber: Ein Werk wie dieses
muss Tochter einer langen Epoche sein. Man muss immer den Geist des
Monuments bewahren, aber sein Leben soll von den Generationen
abhängen, die es fortführen und mit denen es lebt und sich
inkarniert.
Ein Blick auf den Bau aus der Ferne – Die Geburtsfassade
Die Geburtsfassade (Quelle: wikimedia commons- Autor: Kyle Taylor 2009) |
Die vier Türme der Geburtsfassade, rechts in der Mitte der "Lebensbaum", mit "Seelen"-Tauben, bekrönt mit Kreuz, unter Baum der Pelikan
Die architektonische Gestaltung der Türme
Über den Portalbögen erheben sich
vier, offensichtlich aus Ziegeln errichtete, schlanke Türme Sie
erinnern an Türme gotischer Kirchen, unterscheiden sich aber von
diesen durch ihre Gestaltung ohne Fialen (Aufsätze) und eine nach
oben hin parabolisch zulaufende Verjüngung. In ihrer Mitte öffnen
sich in ansteigender Anordnung jeweils drei lang gezogene Öffnungen.
Ihre Anordnung wird durch eine die mittleren Türme verbindende
gebogene Brücke harmonisch abgeschlossen Die vertikalen Linien der
Öffnungen werden durch treppenartige Luken nach oben hin
fortgesetzt. Alles unterstreicht die himmelwärts strebende Bewegung
der Türme. Die Längsspalten und wohl auch die Luken sind nicht nur
zur Verzierung da, sie haben eine Funktion. Sie dienen als
Schallöffnungen für die Glocken. Diese sind aber nicht in der
herkömmlichen Form zu denken. Wie wir später im Museum sahen, hat
Gaudí sie als lange Röhren konzipiert, die frei schwingend in dem
spiralförmigen Treppengehäuse der Türme aufgehängt werden. Ihr
Ton sollte nach innen und außen geleitet werden, um die Gläubigen
zur Andacht und zum Gottesdienst zu rufen. Die Türme laufen in
Verlängerungen aus, die offensichtlich mit anderen Materialien
farbig gestaltet sind. Die Spitzen sind mit roten, von weißen Kugeln
umgebenen, Scheiben besetzt. In ihrem Inneren strahlt ein goldenes
Kreuz, wodurch das Gebilde wappenähnlich wirkt. Die Scheiben wirken
in der Sonne wie von innen heraus beleuchtet, was wohl mit den
Trencadís (Scherben aus Keramik und Glas) zusammenhängt, die
Scheiben und Turmspitzen bedecken. Auch die Turmspitzen bilden eine
harmonische Bogenlinie, die mit der im mittleren Bereich gebildeten
Bogenschwingung korrespondiert. Das Zusammenspiel der Formen der
Front ist schon beeindruckend.
Die Symbolik der Türme - Gleichnis der „Heilsvermittler“
Doch hier waltet nicht nur
architektonische Gestaltung, sondern auch spiritueller Ausdruck. Das
„Fundament“ der Fassade bilden die drei „Kapellen“. Sie
erinnern an die irdische „Dreieinigkeit“ der „Heiligen Familie“
Josef, Maria und Jesus. Auf ihnen baut der Erlösungsweg der
Gläubigen auf, der in der Zeder gipfelt. Darüber erheben sich die
vier Türme. Wie Namen und Figuren an den Türmen bezeugen, sind sie
den Aposteln, aber auch ihren Nachfolgern – so die katholische
Tradition - den Bischöfen, geweiht. Vier ist die Zahl der Ganzheit,
die Erde und Himmel verbindet. Apostel und Bischöfe, die Lenker der
Kirche, weisen den Weg zum Himmel. Dies verdeutlichen auch
Inschriften auf den Türmen wie „Sanctus“, „Hosanna“ u.a.
Diese Worte sind der Messliturgie entnommen, die ja das Zentrum des
katholischen Glaubenslebens bildet und in deren Verlauf Himmel und
Erde, Gott und Mensch zusammenfinden.
Links:Turmspitzen, rechts oben ein Bauarbeiter (Quelle: wikimedia commons / Autor: PMR Maeyert 2008). Rechts: Plan der fertiggestellten Kirche (Quelle: unbekannt)
Die Symbolik der Türme ist nicht leicht zu deuten: vielleicht stellen die Turmkörper den Bischofsstab dar – man könnte aber auch an das Bischofsgewand denken - die oberen Verläufe die Mitra (Bischofsmütze) und die Scheibe den Bischofsring. (Die umkränzte Scheibe könnte aber auch sowohl Mitra wie Ring figurieren und der Aufsatz darunter den Stab.) Der linke Turm, den Gaudí noch erlebt hat, ist Barnabas gewidmet, keiner der „offiziellen“ Apostel, aber mit Paulus von Gott berufen und ausgesandt. Heute stehen acht Aposteltürme, jeweils vier an der Geburts- und an der westlichen Passionsfassade. Doch auch die südliche, die „Glorienfassade“ soll vier Türme erhalten – mit Petrus und Paulus als den höchsten Apostelturminhabern - sodass sich die Gesamtzahl der Aposteltürme auf zwölf beläuft. Innerhalb der „Apostelversammlung“ sollen die Türme der vier Evangelisten entstehen. Sie werden etwas höher als die Aposteltürme sein. Alle aber wird der im Zentrum über der Vierung stehende massige Christus-Turm mit End-Kreuz überragen. Er soll einmal mit 172 m Höhe der höchste Kirchturm der Welt werden. Vor diesem – über der Apsis – wird sich der ebenfalls umfängliche Marien-Turm erheben. Er wird die gleiche Höhe wie die Evangelistentürme erhalten. Beide Türme sind im Bau. Wenn die architektonische Gesamtheit der Kirche – wie geplant 2026 – vollendet ist, wird der Betrachter also ein ganzes nach Rang und Würde abgestuftes „Konzil“ der Heilsvermittler auf dem Bau erblicken – so wie es die katholische Kirche lehrt. Übrigens wird die „Gipfelhöhe“ der Sagrada Família etwas unter der der umliegenden Berge bleiben; das menschliche Werk soll nicht Gottes Schöpfung überflügeln wollen – „demütiger“ Gigantismus!
Die Symbolik der Türme ist nicht leicht zu deuten: vielleicht stellen die Turmkörper den Bischofsstab dar – man könnte aber auch an das Bischofsgewand denken - die oberen Verläufe die Mitra (Bischofsmütze) und die Scheibe den Bischofsring. (Die umkränzte Scheibe könnte aber auch sowohl Mitra wie Ring figurieren und der Aufsatz darunter den Stab.) Der linke Turm, den Gaudí noch erlebt hat, ist Barnabas gewidmet, keiner der „offiziellen“ Apostel, aber mit Paulus von Gott berufen und ausgesandt. Heute stehen acht Aposteltürme, jeweils vier an der Geburts- und an der westlichen Passionsfassade. Doch auch die südliche, die „Glorienfassade“ soll vier Türme erhalten – mit Petrus und Paulus als den höchsten Apostelturminhabern - sodass sich die Gesamtzahl der Aposteltürme auf zwölf beläuft. Innerhalb der „Apostelversammlung“ sollen die Türme der vier Evangelisten entstehen. Sie werden etwas höher als die Aposteltürme sein. Alle aber wird der im Zentrum über der Vierung stehende massige Christus-Turm mit End-Kreuz überragen. Er soll einmal mit 172 m Höhe der höchste Kirchturm der Welt werden. Vor diesem – über der Apsis – wird sich der ebenfalls umfängliche Marien-Turm erheben. Er wird die gleiche Höhe wie die Evangelistentürme erhalten. Beide Türme sind im Bau. Wenn die architektonische Gesamtheit der Kirche – wie geplant 2026 – vollendet ist, wird der Betrachter also ein ganzes nach Rang und Würde abgestuftes „Konzil“ der Heilsvermittler auf dem Bau erblicken – so wie es die katholische Kirche lehrt. Übrigens wird die „Gipfelhöhe“ der Sagrada Família etwas unter der der umliegenden Berge bleiben; das menschliche Werk soll nicht Gottes Schöpfung überflügeln wollen – „demütiger“ Gigantismus!
Schon jetzt zieht der Bau den Blick,
der über Barcelona schweift, von überall her an, von den Bergen,
von der See, von der Dachterrasse eines hohen Gebäudes wie dem Palau
Güell. Zusammen mit dem Torre Agbar - dem von der
„Wassergesellschaft“ errichteten Turm, der mit seiner
paraboloiden Form und farbig-schillernden Haut in deutlicher
Entsprechung mit den Türmen der Sagrada Família steht – bildet
die Kirche einen Zentralpunkt des Stadtbildes.
Die Absicht ist klar: inmitten der
säkularen Stadt weist ein Mahnmal des christlichen Glauben nach
oben.
So wundert es nicht, dass es Kreise
gibt, die die Seligsprechung des asketisch-zölibatär lebenden,
katholisch-frommen Architektur-Heros Gaudí betreiben. Wie es heißt,
soll der Prozess in Rom „auf gutem Wege“ sein. In den letzten
zwölf Jahren seines Lebens opferte er alles seinem Werk der Glorie
Gottes und der Kirche auf - bei Flauten in der Kasse, soll er sogar
Passanten auf der Straße um Spenden angegangen haben. Er arbeitete
nur noch an dem Bau und lebte zuletzt auch dort. Wenn man so will,
war auch sein Ende diesem Werk geschuldet. Auf dem Weg von seiner
morgendlichen Gebets- und Beichtstätte, der Kirche Sant Felip Neri,
wurde er von einer Straßenbahn angefahren – wohl in Gedanken an
seine Arbeit vertieft. Wegen seines abgerissenen Äußeren erkannte
man ihn nicht und brachte ihn in das (alte) Armenhospital Santa Creu
im Raval, wo er am anderen Tag verstarb. Bei seinem Leichenbegängnis
war aber sozusagen „ganz Barcelona“ versammelt. Seine letzte
Ruhestätte fand er in der Krypta „seiner“ Kirche.
Fixpunkte des Blicks: Torre Agbar und Sagrada Família - Blick über Barcelona vom Tibidabo |
Gaudí bei einer Prozession 1924
Gaudí auf dem Sterbebett
Gaudí auf dem Sterbebett
Ein Rundgang um die Kirche – Stationen des Erlösungswerkes Jesu Christi
Wir begeben uns aus dem Park und
starten einen Rundgang um das Bauwerk und zwar gegen den
Uhrzeigersinn. Damit umschreiten wir auch die weiteren Stationen des
Erlösungswerkes Jesu Christi.
Der Blick auf die Nordfront an dem
Carrer Provença ist durch Baugerüste und einen überdachten
Durchgang teilweise verstellt. An beiden Enden – wie auch an den
anderen Ecken des Baus - sollen sich die Kuppeln von Kapellen oder
Sakristeien erheben. Dazwischen erstreckt sich der Kreuzgang , der
von außen wie eine Reihe von Kapellchen gestaltet sein wird. Wie das
aussieht, sieht man schon in Teilen an der Geburtsfassade. Der
Kreuzgang soll sich um die Kirche herumziehen und eine vom
Kircheninneren abgetrennte ruhige Zone für Betrachtung und
Prozessionen bilden. Man kann dann die Kirche mit ihren Fassaden
geschützt umwandeln, von Portal zu Portal. In der Mitte des
Nordteils ist eine der Himmelfahrt Mariens geweihte Kapelle geplant.
Der nach außen wie eine Schutzmauer um die Kirche gelegte Kreuzgang
bildet ein Viereck um die Kirche. Das lässt an das „himmlische
Jerusalem“ denken, das mit einer viereckigen Mauer umgeben ist.
(Off. 21,16)
Wir blicken die Apsiswände hinauf
und sehen Wasserspeier in Form von Tieren, u. a. eine Echse, eine
Schnecke. Gaudi wählte vor allem solche, die beim Bau der Kirche
verdrängt wurden – war das eine Art Sühne für die
Naturzerstörung? Traditionell haben diese Tiere aber auch eine
Abwehrfunktion und stellen glaubensfeindliche Kräfte oder
Eigenschaften dar. So gilt für das „Himmlische Jerusalem“:
Nichts Unreines wird
hineinkommen. ( Off. 21,
27)
Echse an der Apsisfront |
Der Blick auf die „Passionsfassade“ – der Leidensweg Jesu
Passionsfront (Quelle: wikimedia commons - sagradafamilia oficial) |
Die Fassade der „Glorie“ – die Vollendung der Menschheit
Einstweilen begeben wir uns durch
das Gedränge zur Südfront, nicht ohne einen Blick auf das gewellte
Dach der „Schule“ zu werfen, die Gaudí für die Kinder der
Bauarbeiter entworfen hat. Die Fassade der „Glorie“ Christi –
hier steht die Sonne in ihrem Lauf am höchsten – soll die
„Vollendung“ des einzelnen Menschen und der Menschheit
darstellen. Sie ist fast völlig durch Baugerüste, Planen und Zäune
zugestellt. Lediglich Säulen ragen über dem Verhau empor. Wie das
Ganze einmal aussehen wird, ist nicht erkennbar. Dass hier der
Haupteingang und Zugang liegen soll, wird im Inneren der Kirche an
dem großen Bronze-Portal sichtbar. Es ist mit den Lettern des
Vaterunsers in katalanisch bedeckt, wobei die Bitte um das tägliche
Brot in verschiedenen Sprachen erscheinen. (Wir haben sie auch in
Deutsch gefunden.) Der geplante repräsentative Zugang und Aufgang
zum Portal wird vorerst durch die Straße und die gegenüber
liegenden Mietshäuser verhindert, die in der Franco-Zeit illegal,
aber genehmigt, gebaut wurden.
Die Fassade wird in monumentaler
Weise die himmlische Herrlichkeit Christi, den Aufstieg in die
göttliche Welt, das Jüngste Gericht, Tod und Auferstehung, das
Purgatorium und das Inferno zeigen - entsprechend der Apokalypse des
Johannes, dem Glaubensbekenntnis und den bei Dante zu findenden
Vorstellungen. Sieben Tore sind den Sakramenten und den Bitten des
Vaterunsers gewidmet. Sieben die Vorhalle tragende Säulen sollen die
jeweils sieben Gaben des Heiligen Geistes, die Kardinalsünden und
–tugenden zeigen.
Gaudí hat die Gestaltung der
Fassade weitgehend der Nachwelt überlassen. Es bleibt abzuwarten,
was bei diesem wenig attraktiv erscheinenden Thema herauskommt (wer
wird schon gern an seine „Sünden“ und die daraus entstehenden
Folgen erinnert?). Es sind einige Extravaganzen geplant – so über
den Eingängen herabhängende Wolkengebilde mit eingeschriebenem
Glaubensbekenntnis, eine „Feuersäule“ („Führung des
Gottesvolkes“), ein Springbrunnen („Wasser des Lebens“), oder
ein unterirdischer Gang, in dem das Inferno erfahren werden kann. An
den Wänden werden die zur Hölle Verdammten, Dämonen, falsche
Götter, Ketzer usw. zu sehen sein. Ob dieses gewaltige bildnerische
Spektakel mehr das Staunen der Besucher als ihr reuevolles
In-sich-Gehen hervorrufen wird, sei dahin gestellt.
Die Geburtsfassade im Detail – nicht nur die Kindheit Jesu
Bild oben: "Hoffnungstor" - linke Seite Flucht nach Ägypten, rechts Kindermord in Bethlehem, darüber der Jesusknabe vor einem Lehrer, daneben Joachim und Anna (Großeltern).
Unten: Die "Trauung" von Maria und Josef durch den Hohepriester im Tempel zu Jerusalem
Die Figurengestaltung ist – wie an
den weiteren Toren – lebendig und dramatisch, fast naturalistisch.
Die Gesichter sind sprechend. In ihrer Dramatik erinnert die
Gestaltung an barocke Figurengruppen. Gaudí, der die meisten Figuren
in aufwendigen Verfahren selbst entworfen hat, verwendete für die
Gesichter Abdrücke von Menschen aus seinem Umfeld. Offenbar hat der
ausführende Künstler der Figur des "Lehrers" die Züge Gaudís
verliehen.
Wir kommen zum mittleren Tor,
dem Tor der Barmherzigkeit.
Dass dies das Haupteingangtor ist, soll wohl darauf hinweisen, dass
„Barmherzigkeit“ sozusagen das „Eintrittsbillet“ in den
Himmel ist. Dies Tor ist Jesus, der „Tür zur Seligkeit“ (Joh.
10,9), gewidmet. Im Zentralbild auf der Mittelsäule des Tores
erblicken wir die Heilige Familie im Stall zu Bethlehem. Josef steht
mit schützender Geste über Mutter und Kind. Maria sehen wir als
tätige Mutter. Sie windelt gerade das Jesuskind in der Krippe, die
eher einem Waschzuber gleicht (andere sagen, es sei der Handwerkskorb
Josefs). Der Charakter des Stalles wird aber durch Ochs und Esel
bewahrt. Diese Gruppe wurde von dem Freund und Schüler Gaudís,
Jaume Busquets, geschaffen und 1958 an Ort und Stelle gebracht. Im
Fries an der rechten Seite verehren die Hirten das Kind. Links eilen
die drei Weisen mit ihren Gaben herbei, wobei der erste kniet. Beide
Gruppen werden von einem anmutigen Engel geleitet. Darüber singt
eine Gruppe von Kinder-Engeln, die an den Seiten durch musizierende
Artgenossen ergänzt werden – alle ohne Flügel. Einige der kleinen
Engel sollen asiatische Gesichtszüge tragen – der Künstler ist
ein Japaner. Unter den Engeln entziffern wir die lateinische
Inschrift ihrer Botschaft: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
auf Erden...“. Über der Säule mit dem Geburtsstern sehen wir die
demütig kniende Maria auf einem mit den Rosenkranzperlen
geschmückten Podest. Eine große männliche Figur streckt über sie
die Hand grüßend oder segnend aus. Es ist der Engel Gabriel, der
ihr die Geburt Jesu ankündigt. Wir finden auch – wenig auffällig
- die Zeichen der Sternbilder zur Zeit der Geburt Jesu. Ganz oben in
der Endgrotte der zusammenlaufenden Portalumfassung wird die
himmlische Erhöhung der Heiligen Familie gezeigt: Christus krönt
Maria, zu der Josef aufblickt. Die Portalumfassung kulminiert in dem
schon geschilderten Lebensbaum. Dahinter leuchtet ein Strahlenfenster
mit dem Kreuz.
Die Pflanzen und Tiere auf den
Sockeln sind mit dem Land, teilweise mit Haus und Hof verbunden. Sie
haben ihre Symbolik und sollen insgesamt eine friedliche,
paradiesische Stimmung vermitteln.
Die Säule, die das Portal teilt,
ist mit dem Stammbaum Jesu, der „Wurzel Jesse“, aus der Jesus
kommt, umwunden (Jesaja 11.1.2) – Hinweis auf die Verbindung von Altem und Neuem
Testament. Im unteren Bereich ringelt sich die Schlange der
Verführung um den Stamm, sie verkörpert die „Erbsünde“, von
der Jesus Christus erlöst. Die Türen der Portale sind mit dem
immergrünen Efeu und gelben Blumen, in denen sich Insekten (z. B.
Marienkäfer) tummeln, bedeckt, auch wieder alles voller Symbolik.
Was uns auffällt, dass Maria in dem
„Jesus-Portal“ einen großen Raum einnimmt. Aber in der
katholischen Frömmigkeit gilt sie als „Tür des Himmels“
(Lauretanische Litanei).
Das "Barmhrzigkeitstor" |
Die Heilige Familie in Bethlehem |
Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland
Anbetung der Hirten
Efeu und Marienkäfer auf dem Portal
Schildkröte - trägt Säule und Welt
Das rechte Tor, das des Glaubens, ist nun wirklich Maria gewidmet. So ist die Tür mit dornenlosen Rosen geschmückt, der Blume Mariens. Links über dem Tor sehen wir den Besuch Mariens bei ihrer Verwandten Elisabeth. Darüber der zwölfjährige Jesus bei seinem Besuch im Tempel, er sitzt auf einer Kathedra (Lehrstuhl), schaut verklärt nach oben und hebt lehrend die Hand. Links blickt Johannes, der Sohn Elisabeths und späterer „Täufer“ auf ihn, rechts der erblindete Priester Zacharias, der Vater des Johannes, der sich einem Schriftband zuwendet. Rechts unten blicken Josef und Maria staunend auf den wieder gefundenen Sohn. Daneben eine Skulptur, die uns besonders gefallen hat: der schöne Jüngling Jesus sitzt ganz menschlich an der Werkbank seines Vaters und bearbeitet ein Stück Holz mit Hammer und Stichel. Ganz oben wird das Jesuskind von Josef und Maria im Tempel vorgestellt, der alte Simeon fungiert als Priester, der das Kind in den Armen hält, neben ihm die prophetische Alte Hanna, die wie Simeon erkennt, dass es ich hier um den lang erwarteten „Erlöser“ handelt. Die Darstellung erinnert zweifellos an die Taufe, zu der Kinder gebracht werden sollen. Blickt man weiter nach oben, so sieht man das dornenumkränzte Herz Jesu und die „unbefleckte Empfängnis“ Mariens durch Gottes Geist, die zeichenhaft durch Hand und Auge über der Marienfigur angezeigt wird.
Der 12-jährige Jesus lehrt im Tempel
Der junge Jesus bei Zimmermannsarbeiten
Die ganze detail- und beziehungsreiche – um nicht zu sagen überladenen – Front ist nicht nur unter aesthetisch-künstlerischen Gesichtspunkten zu sehen. Was man drüber leicht vergisst, ist, dass sie ein religiöses Programm anschaulich macht, einschließlich eines Erziehungs- und Familienmodells, wie es den Gründern der Kirche und Gaudí vorschwebte. Dazu kann man einiges kritisch bemerken. Das Frömmigkeitsmodell ist traditionell, dogmatisch und kirchlich ausgerichtet. Das Familienbild ist an der Vergangenheit orientiert und auf Harmonie bedacht. Auch das Bild Jesu ist sehr „harmonistisch“. Der Jesus, der sich von seiner Mutter und seinen Brüdern distanzierte (Mk. 3, 31-35) oder der zornige Jesus, der den Tempelbetrieb „aufmischte“ (Mk. 11, 15-19), erscheint hier nicht. Die Darstellungen Jesu rücken die Kindheitslegenden in den Mittelpunkt und später die Passion. Das die Konventionen überschreitende Wirken und die neue Maßstäbe setzende Verkündigung des Mannes Jesu wird übergangen.
Der Innenraum der der Kirche – das „Himmlische Jerusalem“ wird inszeniert
Wir treten nun durch das
Barmherzigkeitsportal in die Kirche ein. Der erste Eindruck ist
überwältigend. Ein Zusammenklang von wechselnden Farben, Licht und
rhythmisch bewegter Architektur dringt auf uns ein. Wir umschreiten
erst einmal die Besucherstühle, lassen das Ganze auf uns wirken und
nehmen dann rechts vom Passionsportal Platz auf einer ruhigen
Steinbank. Hier können wir die Eindrücke ordnen.
Vor uns erhebt sich ein Wald von
unterschiedlichen Säulen. Sie sind leicht geneigt und verzweigen
sich oben wie Bäume. So stützen sie das Gewölbe. Gaudí hat diese
geniale Idee der Natur abgeschaut und brauchte auf diese Weise keine
stützenden Strebefeiler an den Außenwänden anzubringen, wie das
bei gotischen Kirchen notwendig war. An den Kapitellen finden wir
leuchtende Ovale. Wir entdecken Symbole und Inschriften in ihnen.
Vorne verweisen einige auf die Evangelisten. Wir fragen uns, ob sie
von innen beleuchtet werden. Aber das trifft nicht zu, der
Lichteinfall lässt sie aufstrahlen. Auch hier wohl wieder eine
Anspielung an das „Himmlische Jerusalem“, dessen
Mauerngrundsteine mit Edelsteinen geschmückt sind. (Off. 21, 19 f.)
Blicken wir nach oben an die Seiten und an die Decke, so sehen wir
meist runde Öffnungen, durch die das Licht in unterschiedlichen
Brechungen einfällt. Zusammen mit den Fenstern ergibt sich ein
Wechselspiel von Hell und dunkel und unterschiedlichen Farben. Neben
den runden Lichtöffnungen entdecken wir an der Decke ein Netzwerk
von naturhaften und organischen Formen, pflanzliche, kristalline,
geometrische...Wir finden Kreise, Ovale, Vierecke, Rauten,
Sterne…Diese Grundelemente bilden wiederum entsprechende Muster in
Kreuzform, Kreisform usw. Wir finden in der Architektur auch die
berühmten „Regelflächen“, die Gaudí der Natur entnommen hat,
Flächen und Körper, die aus der Ablenkung oder Drehung von Geraden
entstehen. So bilden zum Beispiel zwei entgegengesetzt gedrehte
Helikoide (Wendelflächen) das Rund der Säulen, auch die spiraligen
Turmtreppenaufgänge sind Helikoide. Kapitelle der Säulen sind als
Ellipsoide ausgebildet. Hyperboloide (durch Rotation einer Hyperbel
entstandene) Körper finden wir in Fenster-, Deckenlichtöffnungen
und Gewölben. Die Gewölbe sind übrigens in der Tradition der
katalanischen Bogenbauweise mit Ziegeln gefügt.
Blick auf Decken im Innenraum
Blick auf Decken im Innenraum
Doch auch auf dem Boden finden wir
Regelmäßigkeiten, so haben die Flächenquadrate und die seitlichen
Abstände der Säulen das Maß von 7,5 m. (Wir haben das
nachgemessen!) Das ergibt sich aus der Zwölfteilung der Gesamtlänge
der Kirche von 90 m. Dieses Grundmaß liegt der Länge, Breite und
Höhe der Kirche zugrunde. Offenbar war die Proportion 1/12 für
Gaudí ein Idealmaß, das er in der Bibel und in der Natur fand -
entsprechend der in dem apokryphen Buch der „Weisheit Salomonis“
(11,22) enthaltenen Aussage, dass Gott die Schöpfung nach Maß, Zahl
und Gewicht geordnet habe. All dieses Organische, Naturhafte,
Regelmäßige im Bau lässt etwas von der Ordnung im Kosmos erahnen,
es ist als ob wir uns in der „Werkstatt“ der Natur – oder
Gottes? – befinden. Ohne Zweifel ist hier wieder das regelmäßig
geschaffene und vollkommene „Himmlische Jerusalem“ das Vorbild.
Dort ist 12 die Grundzahl für Bauten und Maße.
Wir lassen unsere Blicke in den
Kirchenraum schweifen. Wir erkennen, er ist mit mehrfach geteiltem
Längsschiff, ebenfalls geteiltem Querschiff und Apsis in
Basilika-Form angelegt, in der Gestalt eines Längskreuzes mit dem
Apsishaupt. Das Längsschiff bezeichnet vom Haupteingang her zum
Altar den Weg des Menschen zu Gott; das Querschiff von der Geburts-
zur Passionsfassade den Weg Jesu. Die Apsis dient der Andacht –
wenigstens vom Bauplan her. Sie kann wie bei Wallfahrtskirchen
umwandelt werden, von Kapelle zu Kapelle. Emporen, Triforien
(Galerien), Säulen, Turmansätze und Fenster gliedern die
Seitenflächen. Die Josef zugeeignete Innenseite der Geburtsfront ist
spielerischer gestaltet, die Maria gewidmete Passionsseite karger.
Die Fenster an der Geburtsfront erstrahlen in blauen und grünen, die
der Passionsfront in rötlichen.und gelben Farben. Die nicht bunt
ausgeführten Fenster über dem Glorienportal lassen das Licht der
Mittagssonne hell durchscheinen. Auch dies soll an das „himmlische
Jerusalem“ erinnern, in dem „das Licht der Herrlichkeit Gottes“
die Stadt wie das Leuchten des „alleredelsten Steins, einem Jaspis,
klar wie Kristall“ erfüllt. (Off., 21, 11) Die großen Fenster
sind vielfach geteilt, wie ein Gitterwerk, auch wieder in
regelmäßigen Proportionen. Wir finden Rosetten, Kreise, Bögen...
sie entsprechen anderen Architekturelementen. Auch hier symbolhafte
Zahlen (die Drei), Formen (der Kreis) und Reihungen aus denselben. Es
entsteht der Eindruck von durchbrochenen lichtdurchlässigen Wänden
– ähnlich wie in der Gotik.
Unser Blick fällt auf den Altar, der sich am Schnittpunkt von Längsschiff, Querschiff und Apsis erhebt. Über dem Altar hängt ein golden leuchtender Baldachin in Form eines Siebenecks. Die Zahl sieben ist eine Schlüsselzahl in der Bibel und der christlichen Tradition, so schenkt der Heilige Geist sieben Gaben, und die katholische Kirche zählt sieben Sakramente. Tatsächlich werden auf dem Rand des Baldachins die sieben Gaben des Heiligen Geistes genannt: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht. Diese Gaben verbinden den Menschen mit Gott - Sieben ist die Zahl der "Vollkommenheit", der Verbindung des Göttlichen mit dem Irdischen (4 + 3!). Vor dem Hintergrund des Baldachins und der Licht erfüllten Apsis hebt sich die Figur des Gekreuzigten ab. Es sieht so aus, als ob sich der mit Weinblätterranken, Trauben, Ähren und einer Lichtergirlande verzierte Baldachin mit seinem inneren Strahlenkranz auf den Gekreuzigten herabsenke. Darüber öffnet sich in der Decke eine goldgefasste Lanterne, aus der blendendes Licht fällt. Dies lässt an das göttliche Schöpfungslicht denken. (Die Lichtöffnung in der Decke erinnert an barocke Kirchen.) Säulen und Geäst scheinen sich dem Baldachin und Christus zu zuneigen und der Lichtöffnung zu zustreben. Bei entsprechendem Licht hat man aber auch den Eindruck, dass die Säulen die Strahlen des Lichts auf den Boden hinunter leiten. Das Arrangement ist deutlich: was hier anschaulich werden soll, ist die göttliche Dreieinigkeit und ihr Kommen zu den Menschen. Das Licht weist auf Gott-Vater, der Baldachin auf den Heiligen Geist, aus dem der Sohn kommt und auf den er sich gesenkt hat. Der Sohn hat durch seinen Kreuzestod die Menschen erlöst und führt sie zum göttlichen Vater zurück. Im Sakrament der Eucharistie wiederholt sich auf dem Altar Inkarnation und Opfer des Sohnes. Und vom Altar aus geht Blick und Weg über Christus wieder hinauf in das göttliche Licht Eine eindrucksvolle mystische Inszenierung, die aber auch des Theaterhaften nicht entbehrt.
Regelmäßige Strukturen und Proportionen |
Blick zu Fenstern der Geburtsfassade |
Unser Blick fällt auf den Altar, der sich am Schnittpunkt von Längsschiff, Querschiff und Apsis erhebt. Über dem Altar hängt ein golden leuchtender Baldachin in Form eines Siebenecks. Die Zahl sieben ist eine Schlüsselzahl in der Bibel und der christlichen Tradition, so schenkt der Heilige Geist sieben Gaben, und die katholische Kirche zählt sieben Sakramente. Tatsächlich werden auf dem Rand des Baldachins die sieben Gaben des Heiligen Geistes genannt: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht. Diese Gaben verbinden den Menschen mit Gott - Sieben ist die Zahl der "Vollkommenheit", der Verbindung des Göttlichen mit dem Irdischen (4 + 3!). Vor dem Hintergrund des Baldachins und der Licht erfüllten Apsis hebt sich die Figur des Gekreuzigten ab. Es sieht so aus, als ob sich der mit Weinblätterranken, Trauben, Ähren und einer Lichtergirlande verzierte Baldachin mit seinem inneren Strahlenkranz auf den Gekreuzigten herabsenke. Darüber öffnet sich in der Decke eine goldgefasste Lanterne, aus der blendendes Licht fällt. Dies lässt an das göttliche Schöpfungslicht denken. (Die Lichtöffnung in der Decke erinnert an barocke Kirchen.) Säulen und Geäst scheinen sich dem Baldachin und Christus zu zuneigen und der Lichtöffnung zu zustreben. Bei entsprechendem Licht hat man aber auch den Eindruck, dass die Säulen die Strahlen des Lichts auf den Boden hinunter leiten. Das Arrangement ist deutlich: was hier anschaulich werden soll, ist die göttliche Dreieinigkeit und ihr Kommen zu den Menschen. Das Licht weist auf Gott-Vater, der Baldachin auf den Heiligen Geist, aus dem der Sohn kommt und auf den er sich gesenkt hat. Der Sohn hat durch seinen Kreuzestod die Menschen erlöst und führt sie zum göttlichen Vater zurück. Im Sakrament der Eucharistie wiederholt sich auf dem Altar Inkarnation und Opfer des Sohnes. Und vom Altar aus geht Blick und Weg über Christus wieder hinauf in das göttliche Licht Eine eindrucksvolle mystische Inszenierung, die aber auch des Theaterhaften nicht entbehrt.
Doch die Inszenierung geht noch
weiter. Der Altar ist nicht isoliert zu sehen. Er ist von Säulen
umgeben. Die Säulen beim und vor dem Altar, sind den Aposteln und
Evangelisten zugeordnet. Petrus und Paulus flankieren den Altar,
gefolgt rechts und links von Matthias und Jakobus. Ingesamt bilden
die zwölf aus Porphyr gefertigten Apostelsäulen ein (gedachtes)
Viereck in der Vierung, also im Zentrum des Kirchenraumes. Im Inneren
des Vierecks bilden die vier Evangelisten einen (auch wieder
gedachten) Kreis vor dem Altar. Hier wiederholt sich also die
Anordnung der Türme. Das ist nach dem Vorbild des „Himmlischen
Jerusalems“ in der Johannesapokalypse angelegt, auf deren zwölf
aus Edelsteinen bestehenden Grundsteinen die Namen der zwölf Apostel
eingezeichnet sind. (Off. 21,14) Überhaupt ist der ganze Altarraum
am Vorbild des „Himmlischen Jerusalems“ orientiert, wobei die
Vorstellungen des Verfassers der „Offenbarung“ wiederum auf
Visionen des Propheten Hesekiel zurückgehen. Hesekiel sieht den
Thron Gottes von vier Wesen umgeben – den Cherubim – die
Menschen-, Löwen-, Stier- und Adlergesichter tragen. (Hes. 1,4 ff.)
Die „Offenbarung“ macht vier Wesen daraus, die jeweils eines der
Gesichter tragen Die Kirchenväter haben diese Engelwesen den
Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes zugeordnet. Sie
umstehen den inmitten der himmlischen Stadt stehenden Thron Gottes.
Zum weiteren Kreis des „Hofstaates“ Gottes gehören die „zwölf
Apostel des Lammes (Jesus Christus)“. So bildet der Altar den Thron
ab, auf den sich Gott und Christus herabsenken. Die Säulen stellen
die den himmlischen Thron umgebenden Evangelisten und Apostel dar.
Maragall hat in seiner eingangs
zitierten Aussage schon recht: Gaudí wollte in der Sagrada Família
den Vorschein einer „neuen Welt“ errichten, in der „Liebe und
Licht“ (Dante) herrschen.
Säule des Evangelisten Lukas |
In der Maria geweihten Apsis mit
ihren sieben wabenartigen Kapellen – sie sind den Freuden und
Leiden Josefs gewidmet - werfen wir durch ein Fenster den Blick in
die leider verschlossene Krypta hinunter. Hier sehen wir das Grab
Gaudís, vor dem brennende Kerzen sein Angedenken ehren.
Blick in die Krypta zum Grab Gaudís |
Die Passionsfassade im Detail – vom Leiden zur Auferstehung
Wir treten aus der Kirche in die
Vorhalle, nicht ohne einen Blick auf eine einfache Darstellung des
Einzugs Jesu in Jerusalem auf dem Boden zu werfen (von dem Künstler
Domènec Fita). Wir gelangen durch das „Evangeliumstor“ nach
draußen (links und rechts davon befinden sich das „Gethsemane“-
und das „Dornenkronentor“). Vor dem Tor stimmt uns der Pfahl der
Geißelung Jesu in die Leidensgeschichte Jesu ein. Wenn wir zurück
blicken, sehen wir ein Zeichen über der Mittelsäule des Portals:
zwei zusammen gefügte Dreiecke, die nach oben und unten weisen, zum
Himmel und zur Erde. Bei genauerem Hinsehen kann man sie auch als
Alpha und Omega identifizieren, als den Anfang und das Ende des
griechischen Alphabets. Dreiecke bezeichnen den dreieinigen Gott. Das
Zeichen weist auf die Inkarnation Gottes in Jesus, seinen Weg nach
unten, in die Passion, und den Weg nach oben, Auferstehung und
Himmelfahrt, hin, das Bildprogramm der Passionsfront. Als Alpha und
Omega bezeichnet es Anfang und Ende der Wege Gottes.
Wir steigen den Treppenaufgang hinunter und stellen uns in eine Ecke. Hier drängen sich nicht so viele Menschen und wir haben eine gute Übersicht. Die Reihenfolge der Szenen – und damit wird die „Leserichtung“ angezeigt - bildet ein großes S (= Salvator, der Retter).
Jesus am Pfahl der Geißelung, rechts oben das doppelte Dreieck (A und O) |
Wir steigen den Treppenaufgang hinunter und stellen uns in eine Ecke. Hier drängen sich nicht so viele Menschen und wir haben eine gute Übersicht. Die Reihenfolge der Szenen – und damit wird die „Leserichtung“ angezeigt - bildet ein großes S (= Salvator, der Retter).
Bilderfolge: Gaudís Entwurf zur Passionswand (Museum); Judakuß; Ecce Homo; Schweißtuch der Veronika; Kreuzigungsszenen
Die Darstellungen beginnen unten
links mit dem Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Dann folgt die
Festnahme Jesu im Garten Gethsemane, bei der Petrus dem Tempelknecht
Malchus ein Ohr abschlägt. Danach kommt der Judaskuss. (Hinter ihm
erscheint die Schlange der Verführung). Daneben finden wir ein
Zahlenquadrat, dessen Reihen immer die Zahl 33 ergibt, das Todesalter
Jesu nach dem Johannesevangelium. Die zwei Doppelzahlen 10 und 14
geben zusammengezählt 48. Zählt man den Zahlenwert der Buchstaben
INRI im lateinischen Alphabet zusammen,
ergibt sich diese
Zahl.
Über die Geißelung
geht es zum über seine Verleugnung verzweifelten Petrus auf der
rechten Seite unten weiter. Drei Frauen und ein Hahn bezeichnen seine
dreimalige Verleugnung. Ein Labyrinth weist auf die verschlungenen
Wege Gottes mit den Menschen und auf den Weg Jesu hin. Ganz rechts
die „Ecce homo“-Darstellung („Sehet, welch ein Mensch!“) -
der von Soldaten vorgeführte „Dornenkönig“ wird von Pilatus
der Menge dargestellt. Der Machthaber sitzt zweifelnd vor dem
römischen Hoheitszeichen. Nach der Verurteilung wäscht er seine
Hände in Unschuld. Seine Frau Procula, die ihn gewarnt hatte,
schreitet bekümmert davon. Es geht nun von rechts nach links oben.
Der Sturz Jesu bildet die erste Szene auf dem Kreuzweg. Simon von
Cyrene übernimmt das Kreuz, und die drei Marien sind Zeugen des
Zusammenbruchs. Dann folgt zentral die Darstellung des
„Schweißtuches“ mit dem Gesichtsabdruck Jesu durch „Veronica“.
Auffällig ist die Gesichtslosigkeit der legendären Frau und die
anonyme Monsterhaftigkeit der dabei stehenden Soldaten. Die
Physiognomie der Soldaten entspricht Schornsteinen auf der Casa Milà.
Links von der Gruppe betrachtet der Evangelist das Geschehen, dem der
Bildhauer die Züge Gaudís verliehen hat. Es folgt links davon ein
Soldat auf einem Pferd. Es ist der Mann, der Jesus mit dem Speer in
die Seite stechen wird. Man hat dem später zum Christentum
Konvertierten den Namen „Longinus“ gegeben. Über ihm die um die
Kleider Jesu würfelnden Soldaten. Ganz oben im mittleren „Fenster“
erblicken wir den Gekreuzigten. Das Kreuz tritt über ihm horizontal
aus der Wand hervor und Jesus hängt vom Querbalken herunter, was den
schwebenden Eindruck erzeugt. Zu seinen Füßen ein Totenschädel. Er
weist auf den Namen des Kreuzigungsortes „Golgatha“ (=
Schädelstätte) hin, aber auch auf Adam, durch den die Sünde in die
Welt kam – die Legende lokalisiert das Grab Adams unter dem
Kreuzigungsort. Links die trauernden Frauen Maria und Maria
Magdalena. Im Hintergrund öffnet sich die Grabhöhle mit dem
weggerollten Verschlussfelsen davor. Hinter den Frauen eine
unidentifizierbare Gestalt: ist es eine weitere Trauernde (die für
jeden Gläubigen steht) oder der Jünger Johannes? Über dem Kreuz
befindet sich ein Mosaik, das den zerrissenen Vorhang im Jerusalemer
Tempel darstellt. Die letzte Szene zeigt die Grablegung durch Josef
von Arimathia und Nikodemus. In Nikodemus hat sich Subirachs selbst
porträtiert. Eine der Marien kommt aus der Grabhöhle, vielleicht
ein Hinweis auf das Grab, das die Frauen später leer fanden. Vor
ihr weist ein Ei auf die Auferstehung hin. Doch wo ist der
Auferstandene? Er ist schon längst woanders, er sitzt als
Bronzefigur hoch oben auf der Verbindung der Aposteltürme und blickt
mit schmerzlicher Miene über die Stadt. Unter ihm Apostelfiguren.
Der Auferstandene (Quelle: wikimedia commons - Autor: sagrada familia oficial) |
Über das Vordach der Passionsdarstellung hat man eine Galerie angebracht, deren weiße Streben wie Knochen aussehen. Links vor der Aufschrift „Jesus Nazarenus“ blickt eine Löwenfigur in die Ferne. Sie bezieht sich auf den „Löwen aus Juda“, den die christliche Tradition auf Jesus deutet und ist ein Auferstehungssymbol. Dieser Aufsatz geht auf den Entwurf Gaudís zurück, ich finde ihn aber weder passend noch geschmackvoll.
Ausklang und Fazit
Unsere Meinung zu der Gestaltung
ist: Subirachs hat das „Ecce homo“, das Ausgeliefertsein Jesu
und des Menschen überhaupt, der in die Gewalt totalitärer Mächte
und ihrer Schergen geraten ist, beklemmend dargestellt. Modern, fast
ein wenig comichaft, aber überzeugend. Hier ist nichts „schön“
wie an der Geburtsfassade, aber dies soll auch nicht sein.
Wir haben unseren Rundgang beendet.
Wir besuchen noch das Museum, in dem aufschlussreiche
Ausstellungstücke zur Geschichte und Bauweise der Sagrada Família
ausgestellt sind. Hier finden wir auch ein Modell Gaudís, wie er auf
einfache Art und Weise die Statik in Gebäuden entwarf, ohne dass er
sie berechnen musste Dies war durch das so genannte Hängemodell
möglich. Der Architekt knotet Schnüre entsprechend den Druckpunkten
einer geplanten Konstruktion mit Bögen, Säulen und Mauern zusammen.
Dann befestigt er an den Druckpunkten Fäden, die dem Wölbungsverlauf
entsprechen, bei geraden Linien werden kleine Gewichten an den
Schnüren angebracht. Diese Seilkonstruktion wird auf den Kopf
gestellt. Der Zug entspricht dem Druck Nachdem der Baumeister die
Konstruktion fotografiert hat, dreht er das Bild um und hat so das
Modell eines tragfähigen Bauwerks vor sich. So ungefähr haben wir
es verstanden. Wie auch immer, es hat geklappt.
In einer ruhigen Restaurantterrasse
inmitten der Avenida Gaudí blicken wir noch einmal auf den
himmelwärts strebenden Koloss zurück. Ist das nun „grandioser
religiöser Kitsch“, der da entstanden ist, oder handelt es sich um
eines der „genialsten Bauwerke der Moderne“? Vielleicht ist
beides in Teilen zutreffend. Jedenfalls: der Bau geht weiter, die
Menschen strömen, und auch wir werden die Fortschritte wieder in
Augenschein nehmen.
Ein Hängemodell Gaudís |
Gaudí als Evangelist an der Passionswand |